Behinderung und Barrierefreiheit in der Europäischen Union und International
In den 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) leben rund 87 Millionen Menschen mit Behinderungen bzw. mit einem lang andauernden Gesundheitsproblem.
Österreich setzt sich auf EU- und internationaler Ebene aktiv für die Gleichstellung und die Rechte der Menschen mit Behinderung ein.
Die EU engagiert sich in verschiedenen Bereichen der Behindertenpolitik. Neben der Europäischen Strategie zugunsten von Menschen mit Behinderungen sind vor allem die Bereiche Beschäftigung, Diskriminierungsschutz und Barrierefreiheit wichtig.
Europäische Strategie für die Rechte von Menschen mit Behinderungen 2021-2030
Am 3. März 2021 hat die Europäische Kommission die Mitteilung „Union der Gleichheit: Strategie für Menschen mit Behinderungen 2021-2030“ vorgelegt. Diese neue EU-Behindertenrechtsstrategie baut unter anderem auf den Ergebnissen der Evaluierung der EU-Strategie zugunsten von Menschen mit Behinderungen 2010-2020 auf. Ihr Ziel ist insbesondere die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention auf EU-Ebene. Sie umfasst Maßnahmen der Europäischen Kommission und Aufforderungen an die Mitgliedsstaaten. Die Strategie unterstützt und ergänzt die Aktivitäten Österreichs zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Die inhaltlichen Schwerpunkte der EU-Strategie decken sich auch weitgehend mit den Schwerpunktsetzungen des österreichischen NAP Behinderung 2022-2030 (siehe auch unter Stichwort „Nationaler Aktionsplan Behinderung).
Maßnahmen der EU gegen Diskriminierung
Auf Ebene der EU wird der Gleichberechtigung und dem entschlossenen Vorgehen gegen die Diskriminierung behinderter Menschen ein hoher Stellenwert beigemessen.
Die EU-Strategie ist auf drei Säulen aufgebaut:
- die Rechtsvorschriften und Maßnahmen der EU zur Bekämpfung von Diskriminierungen, die den Zugang zu individuellen Rechten ermöglichen;
- die Beseitigung von Barrieren in der Umgebung, die behinderte Menschen davon abhalten, von ihren Fähigkeiten Gebrauch zu machen, und
- die Einbeziehung von Behinderungsfragen in das breite Spektrum der Gemeinschaftsstrategien, die die Inklusion von Menschen mit Behinderungen erleichtern ("Disability Mainstreaming").
Rechtliche Grundlagen für den Diskriminierungsschutz
Seit Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags am 1. Dezember 2009 ist der Schutz der Grundrechte im EU-Vertrag und durch eine Charta der Grundrechte der Europäischen Union festgelegt. Primärrechtliche Grundlage zur Bekämpfung der Diskriminierung aufgrund einer Behinderung ist der Artikel 19 des AEU-Vertrags (EU-Antidiskriminierungsrecht).
Neben den primärrechtlichen Verträgen der EU (Gründungs-, Revisions- und Beitrittsverträge) gibt es auch das Sekundärrecht. Das Sekundärrecht sind jene EU-Rechtsakte, die auf Basis des Primärrechts von den Organen der Europäischen Union beschlossen werden.
Sekundärrechtliche Richtlinien gegen Diskriminierung
Im Bereich des Sekundärrechts beschränkt sich der Schutz vor Diskriminierungen aus Gründen einer Behinderung derzeit auf den Geltungsbereich Beschäftigung, Beruf und Berufsbildung.
In der "Richtlinie 2000/78/EG zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf" sind mittelbare und unmittelbare Diskriminierungen sowie Belästigungen und Anweisungen zur Diskriminierung aufgrund der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung untersagt. Zusätzlich enthält sie spezielle Bestimmungen zur Förderung der Gleichbehandlung behinderter Menschen.
Zur Vervollständigung des Rechtsrahmens der Gemeinschaft zur Bekämpfung von Diskriminierungen hat die Europäische Kommission dazu im Rahmen der erneuerten Sozialagenda am 4. Juli 2008 einen Richtlinienvorschlag zur Bekämpfung von Diskriminierungen außerhalb der Arbeitswelt herausgegeben.
Näheres dazu ist auf der Webseite der Europäischen Kommission nachzulesen.
Maßnahmen der EU zur Barrierefreiheit
Im Verkehrsbereich sind mehrere Fahrgastrechte-Verordnungen beschlossen worden, die die Rechte von Menschen mit Behinderung im Flug-, Eisenbahn-, Schiff- und Busverkehr wesentlich stärken.
2016 wurde die "Web-Accessibility-Richtlinie" über den barrierefreien Zugang zu Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen beschlossen.
Unter österreichischem Ratsvorsitz ist es im November 2018 gelungen, die Verhandlungen für eine Richtlinie über Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen erfolgreich zum Abschluss zu bringen. Dieser "European Accessibility Act (EAA)" schafft künftig EU-weit einheitliche Regeln zur barrierefreien Nutzung von bestimmten Produkten und Dienstleistungen, wie zum Beispiel Computer, Handys, Ticketautomaten im öffentlichen Verkehr, Zahlungsterminals und Geldautomaten, E-Books und E-Commerce. Dadurch wird ein wichtiger Beitrag zum Abbau vorhandener Barrieren im öffentlichen Leben geleistet, der vielen Menschen mit Behinderungen die Führung eines selbstbestimmten Lebens ermöglichen soll. Der EAA wurde am 7. Juni 2019 im Amtsblatt der EU veröffentlicht.
Für die Umsetzung dieses EAA hat das Sozialministerium ein neues Barrierefreiheitsgesetz ausgearbeitet, das im Jahre 2025 in Kraft treten wird.
Disability Mainstreaming
Die EU-Behindertenpolitik ist dem Disability Mainstreaming verpflichtet, demzufolge müssen die Anliegen der Menschen mit Behinderungen in sämtlichen Politikbereichen beachtet werden. Von besonderer Bedeutung ist die Anwendung des Disability Mainstreaming im rechtlich verbindlichen Bereich (Unionsrecht), wobei das Binnenmarkt- und Verkehrsrecht eine beispielhafte Rolle einnehmen (European Accessibility Act, EU‑Fahrgastrechte-Verordnungen).
Förderung durch den Europäischen Sozialfonds (ESF+) 2021-2027
Über den Europäischen Sozialfonds (ESF) fördert die Europäische Union die Inklusion von Menschen mit Behinderungen auf dem Arbeitsmarkt. In Österreich ist das Sozialministeriumservice die zuständige Förderstelle von ESF-Programmen.
Das Förderprogramm der aktuellen Periode wird als ESF Plus 2021-2027 bezeichnet. Bewährte Elemente des Förderprogrammes 2014-2020 wurden auch in das neue Programm aufgenommen. Der ESF Plus baut auf den Erfahrungen der letzten Förderperiode auf, jedoch mit Fokussierungen und Adaptierungen auf Basis der begleitenden Evaluierung. Das Programm wurde zusammen mit Expertinnen und Experten auf Bundes- und Länderebene, mit fachlichen Expertinnen und Experten sowie weiteren Stakeholdern des ESF intensiv erarbeitet.
Folgende Schwerpunkte sind im Förderprogramm ESF Plus 2021-2027 insbesondere vorgesehen:
- Gleichstellung für Frauen und Männer – inklusive innovativer Kinderbetreuungsangebote
- Aktive Inklusion – Verbesserung der Beruflichen Teilhabe
- Unterstützung für Jugendliche an Schulen und am Übergang Schule - Ausbildung - Beruf
- Zugang zu lebenslangem Lernen – einschließlich Digitalkompetenzen
Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention durch die EU
Die EU ist durch einen Beschluss des Rates vom 26. November 2009 der UN‑Behindertenrechtskonvention beigetreten. Nach Ratifizierung ist die Konvention für die EU mit 23. Jänner 2011 in Kraft getreten.
Die Europäische Kommission arbeitet bei der Umsetzung der Konvention eng mit den Mitgliedsstaaten zusammen. Die Bedingungen der Zusammenarbeit wurden vom Rat in einem eigenen Verhaltenskodex festgelegt.